jörg schaller fotografie
Dorothée
Jörg Schaller – Maschinenportraits - von Dorothée Bauerle-Willert
Jörg Schallers emblematische Fotos, seine „Maschinen-Portraits“ aus dem ehemaligen VEB EAW Elektro-Apparate-Werke Josef Stalin, Berlin – einem der größten metallverarbeitenden Fabriken der ehemaligen DDR - öffnen Blicke in Zeitenschichten, die gerade wegen der Abkunft der Apparaturen aus der Vergangenheit Vorstellungen über die Zukunft evozieren, denn natürlich wird dereinst auch die heutige Zukunft einer noch ferneren Zeit weichen müssen,
Die Funktion der gezeigten Artefakte, Bestandteile von Kraftwerksanlagen im ehemaligen Ostblock herzustellen, ist Vergangenheit. Nun stellen ihre „Portraits“ diese Maschinen frei, sprengen sie noch einmal aus ihrer Zweckhaftigkeit heraus und beleuchten gerade dadurch plötzlich auch ihre Vergangenheit und die gesellschaftlichen Veränderungen, die seitdem stattgefunden haben:
Mit ruhigem und zugleich liebevollem Blick begegnet Jörg Schaller diesen Objekten, gibt ihnen ihre Würde und ihre Geschichte (zurück). Sein Medium, die Fotografie, korrespondiert dabei präzise mit dieser geschichteten, zeitoffenen Erinnerungsarbeit.
Fotografien sind Fragment und memento mori. Immer sind es Bruchstücke der Welt, xxx Reste und Reliquien. Als Wiedergänger von etwas, das nicht mehr existiert, bewahren sie gerade dieses Etwas und verknüpfen es neu mit uns und der Welt. Fotografie ist Spur einer Abwesenheit, zugleich aber gibt sie Präsenz, beglaubigt Existenz: Die Vergangenheit, das präsente Jetzt und damit auch ein Danach. Bruch und Kontinuität sind in komplexer Weise miteinander verwoben. Fotografien bringen uns mit einem Verschwundenen in Kontakt. Aber indem wir es sehen, dringt das Verschwundene wieder in unsere Gegenwart ein. In der Fotografie wird die Vergangenheit zu einem imaginären Besitz, zugleich ist sie Hilfsmittel im Versuch, die unsichere, die sich stets verändernde Welt zu begreifen. Fotografieren heißt teilzunehmen an der Verletzlichkeit, Wandelbarkeit, Flüchtigkeit der Dinge und Erscheinungen. Gerade dadurch, dass die Fotografie, ein Objekt, einen Moment herausgreift und still stellt, bezeugt sie den Fluss der Zeit. Die leise Melancholie, die oft das Anschauen von Fotos begleitet, hat wohl in dieser Vergänglichkeit ihren Grund.
In Jörg Schallers spröder und doch zugeneigter Inventarisierung werden die Maschinen und ihre Geschichte fremd und doch wird durch die Fremdsetzung, durch den anderen Blick ihre Geschichte, ihr Werk dem Vergessen entrissen, in die Jetztzeit gekippt – ein Gleiten zwischen Aufhebung und Wiederkehr. Die unhörbare Eloquenz der Dinge wird Form. Die Maschinen erzählen ihre eigene Geschichte, die, in den Gebrauchsspuren kondensiert, eine der Umformung und der Verwandlung von Materialien ist. Ohne falsches Pathos ist in Schallers Fotografien die schwere Arbeit anwesend, die Mühsal wie die Freude der Menschen, der Lärm der Produktion, der als ein sich wundernder Widerstand des Stahls über seine Umwandlung in Produkte erahnt werden kann. Man hat den metallenen, öligen Geruch förmlich in der Nase, der Jahrzehnte hindurch über allem lag und den die metallene Haut der Maschinen bis heute ausstrahlt.
Hier lässt sich möglicherweise in einem winzigen Detail das Besondere und Andere von Schallers Maschinen-Porträts im Kontext der bekannten und renommierten Bildmanifestationen von Industrieanlagen durch die großen Pioniere der Industriefotografie, Hilla und Bernd Becher, lokalisieren. Schallers Bilder zeigen die Protagonisten der Industrielandschaften – die Maschinen. Die von Schaller entschiedene künstlerische Form des Porträts verleiht ihnen eine Individualität, die wie Persönlichkeit anmutet. Irritiert fühlt sich der Betrachter versucht, sie als Wesen wahrzunehmen. Spielerisch nahe am Scheitern halten die Bilder jedoch die Distanz, die notwendig, sie als Ausdruck eines künstlerischen Konzepts zu verstehen. Jörg Schaller dokumentiert nicht, er porträtiert. Und löst unmerklich Emotionen aus, aktiviert die Sinne. Der Betrachter ist unversehens hineingezogen in eine vergangene Welt von Industrieproduktion. Der Lärm ist da, das Öl, der Stahl – und auch der Schweiß.
Es ist, als ob wir in der Betrachtung der nun nutzlos gewordenen Maschinen immer neue Brücken schlagen zwischen Sehen und Hören, Erleben und Ahnen. Auf diskrete und zugleich abgründige Weise spielen diese Bilder mit Nähe und Distanz, mit Gewinn und Entzug. Und sie bezeugen die Geschichte als einen Zusammenhang, der auch auf Vergessen baut.
In ihrem Verzicht auf falsche Rätsel stacheln die fotografischen Protokolle die Erinnerung und eine neue, veränderte Wahrnehmung an, ohne eine simple Rekonstruktion der Zusammenhänge oder gar die Heilung möglicher Verluste vorzutäuschen. Die ungreifbare Spur des Gewesenen schlägt - in einer weiteren Wendung und Verwandlung - als eine Art Bildminimum in die minimale Bildhaftigkeit dieser Fotos um. Im Blick und Gegenblick zwischen der Realität des Objekts und der jede Materialität übersteigenden Erfahrung wird konzentriert und klar ein sehendes Nachdenken über Kunst, Künstlichkeit, Erinnerung und Verlust in Gang gesetzt. Was wir sehen, ist immer ein vielschichtig verwobenes Geflecht von Zeiten, Räumen, Bildern, Erinnerungen.
Jörg Schallers Fotos sind, mit einem Begriff Walter Benjamins Denkbilder, die eine anschauliche Erkenntnis herstellen und austragen. In ihrer Betrachtung verbinden, berühren sich Poesis und Reflexion und fallen doch nicht in eins.
Und jedes Foto wird zur Passage, neben seiner Präsenz und unangreifbaren Schönheit ist es auch Mahnung gegen das Draußen des Vergessens.
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